Vom Fang - (aus den Netzen)
Temperamalereien, Aquarelle, Zeichnungen, Fotografie
Galerie Marenzi
20.04. - 01.06.2024
»(...) Denn ein Weg zur Wirklichkeit geht über Bilder. Ich glaube nicht, dass es einen besseren Weg gibt. Man hält sich an das, was sich nicht verändert, und schöpft damit das immer Veränderliche aus. Bilder sind Netze, was auf ihnen erscheint, ist der haltbare Fang. Manches entschlüpft und manches verfault, doch man versucht es immer wieder, man trägt die Netze mit sich herum, wirft sie aus, und sie stärken sich an den Fängen. (...) «
Elias Canetti/ »Die Blendung«, aus »Besuche im Städel«
Unterholz, Durchblicke, Gestrüpp und Gräser, Nähe, Distanz, Spiegelungen, Erinnertes, Assoziatives, Momente eines Farbenspiels. Es ist ein Spiel mit vegetativen Formen, das in den beiden größeren Räumen der Galerie in einem Zusammenspiel unterschiedlicher Medien zu sehen ist. Landschaftliches, ausschnitthafte Kompositionen, die wie eingefrorene Schnappschüsse einer beiläufigen Wahrnehmung aus dem Augenwinkel eines Flanierenden hängen geblieben zu sein scheinen. Die Farbfotografien, Malereien auf Leinwand und Papier und ein paar großformatige Zeichnungen stehen miteinander in einem Dialog, hinterfragen die unterschiedlichen Medien und nehmen die Besucher:innen der Ausstellung mit in deren Unterhaltung über Verweise, Analogien, über Brüche und Widersprüche und deren Verhältnis untereinander.
Mit einer beinahe zur künstlerischen Routine gewordenen Strategie hat man gelernt, beim Gehen »seine Netze« auszuwerfen«, Bilder zu sammeln und dabei seinen Impulsen zu vertrauen, ohne sich vorerst Gedanken darüber zu machen, was möglicherweise später als unpassend oder banal gelten würde. Ein Vergleich scheint naheliegend: der des Malers als einer Art »wandelnden Kameragehäuses«. Die noch nicht entwickelten Bilder (die »snapshots«), die während der Recherche (Augen-Blicke) entstanden, werden auf dem noch latenten Streifen eines imaginären Filmes festgehalten und ins Atelier getragen, wo die oft nur latenten Bilder gesichtet und auf ihre Verwertbarkeit sortiert werden. Will man den Prozessen und den Eindrücken, die man beim Sammeln der Bilder erfahren hat, Form geben, wird schnell klar, dass es verschiedener Sprachmittel bedarf, um dem Geheimnis von Licht, Form und Farbe, das man mitgenommen hat, auf die Spur zu kommen und um in einer – womöglich – Präsentation die Erfahrung zu vermitteln, im Gehen selbst schon Teil der künstlerischen Intervention gewesen zu sein. Bei allem im ersten Blick Zufälligen der Auswahl, wird in diesen Bildern nie der Eindruck von Beliebigkeit erweckt. Immer scheinen sie, auch ganz ohne erzählerischer Momente, stark an die persönliche Umwelt in Bezug zu einer poetischen Vorstellung zu haben und teilen sich in der Zusammenstellung dem Betrachter – auch in ihrer Rätselhaftigkeit – mit. Jedes Bildmaterial sucht sein Medium. Jedes Medium hat seine ihm eigenen Sprachmittel und die Sprachmittel vermitteln nicht nur, sondern bilden auch die Inhalte, die erzählt werden wollen und bestimmen somit schließlich die Form eines Ausstellungskonzeptes, das einlädt den Erinnerungen und Wahrnehmungen zu folgen.
NEBENRÄUME:
Während die Haupträume der Galerie eben jener dialogischen Herangehensweise Malereien, Zeichnungen und Fotografien gewidmet sind, sind in den kleineren, kabinettartigen Nebenräumen Fotoarbeiten zu sehen, die verschiedene Zugänge zu den Bilderwelten in Beispielen umspielen.
»FIXIERUNG«:
In der Arbeit »Fixierung« sind Schwarz-Weiß-Abzüge eines performativen künstlerischen Beitrages zu sehen, der anlässlich des städtepartnerschaftlichen Projektes »Biografischer Ausnahme-zustand« in den Städten Salzburg und Dresden ausgeführt worden war. Die diese Arbeit dokumentierenden Abzüge stehen in einem direktem Zusammenhang zu den Überlegungen zur Ausstellung in den beiden größeren Räumen der Galerie.
In Anlehnung der Verwendung von präphotographischen Vorrichtungen, den sogenannten »Glastafelapparaten«, wie sie seit der Renaissance und vor allem mit der Freiluftmalerei ab der Zeit des Barock verwendet wurden, waren einfache Holzrähmchen an Stäben befestigt worden, die bei Stadtspaziergängen im Gelände, sozusagen als Guckrahmen, verteilt wurden. Anvisiert wurden meist scheinbare Nebensächlichkeiten, Details, als ob man auf diese aufmerksam machen wollte, kleine Kompositionen im Stadtraum. Die so verteilten Rähmchen blieben während der Dauer der mehrtägigen Veranstaltungsreihen im Stadtraum Dresdens und Salzburgs stehen und luden neugierig gewordene Passanten ein, hindurch zu schauen, an den, durch die Rahmenleisten definierten, Bildern teil zu haben, bevor man weiter seines Weges ging – möglicherweise mit geschärfter Aufmerksamkeit …
»POLAROID SW«:
Als das Niederländische Unternehmen Impossible™ Anfang der Nullerjahre damit begonnen hatte, die Technologie von Polaroid™ »neu nachzuerfinden«, waren die Filme, die man zunächst bekommen konnte, weit weg von der hohen Qualität, wie sie von Polaroid™ schon Jahrzehnte vorher entwickelt worden war. Die Fotoaufnahmen, die mit dem nun neuen Material zuwege gebracht werden konnten, zeichneten sich in den ersten paar Jahren durch ihren »rohen«, fast »trashigen« Charakters aus. Zudem veränderte sich das belichtete Material trotz lichtgeschützter Aufbewahrung und die Bilder begannen sich bald schon zu zersetzen.
Trotz – oder gerade wegen – deren Mängel, die den mit den alten Sofortbildkameras aus den siebziger Jahren entstandenen Bildern eine ganz besondere Anmutung geben, wurde die wiederbelebte Technologie interessant. Durch diese wurden die Motive, die abgelichtet werden sollten, einer Transformation unterworfen, die meinem ästhetischen Empfinden und bestimmten Vorstellungen sehr entgegen kamen: Unschärfen, Lückenhaftes und ungewöhnliche Hell-Dunkelkontraste lassen die Gegenstände in einem besonderen Licht erscheinen – das Bild wird »als Erscheinung« in Schwebe gehalten, das belichtete Material bot eine Qualität, die an andere, »klassische« Medien erinnert. Der Bilderauswahl kommt bei den oft schwer vorhersehbaren Ergebnissen eine sehr große Bedeutung zu. Das Assoziationspotential, Erahnbares, Archetypisches und eine primäre Anmutung galten hier als die visuellen Kriterien, wie sie auch bei der Auswahl der Bildentscheidung für Malereien und Zeichnungen entscheidend sein können und bildet in gewisser Weise und bei aller Uneindeutigkeit ein Bindeglied zu jenen Bilderwelten.
Da sich die Bilder im Laufe schon kurzer Zeit zu zersetzen begannen, wurde entschieden, die Originale einzuscannen und weitgehend ohne Nachbearbeitung im Pigmentdruckverfahren etwas vergrößert auf Büttenpapier printen zu lassen. Diese Werkgruppe ist in ihrer Stückzahl begrenzt. In den vergangenen Jahren hat sich das Fotomaterial von Impossible™ inzwischen den »modernen« Sehgewohnheiten und »zeitgenössischen« Vorstellungen und Erfordernissen angeglichen. Der traumgleiche Bildraum, der für die Chargen der frühen Zehnerjahre bei Impossible™ seinen Reiz hatte, ist nun einem glatten Bildergebnis gewichen. Das Zeitfenster, in dem solche Ergebnisse erzielt werden konnten, ist wieder geschlossen.